Künzelsau für Menschlichkeit: Rede Dr. Wolfgang Jörger

Veröffentlicht am 15.02.2016 in Ortsverein

Aktionsbündnis "Künzelsau für Menschlichkeit"

Samstag, 13.02.2016

„Künzelsau – Hauptstadt der Weltmarktführer“ so tönt es allenthalben von Plakaten und Programmen.

Viel schöner wäre zu hören: „Künzelsau Stadt der Menschlichkeit“

Noch vor 75 Jahren flohen Einwohner unseres Landes in die rettende Ferne, um den Bedrohungen und den „Unmenschlichkeiten“ des Deutschen Reiches zu entkommen. Damals haben wir Hass gesät und Schrecken nach ganz Europa getragen.

Die Welt hat sich gewehrt. Deutschland war zum Feindbild geworden. Die Hoffnung, die „Deutsche Rasse“ würde zur Führungselite Europas und zu einem Maßstab menschlicher Qualität werden, wurde gründlich und entschlossen besiegt und beendet.

Und danach sind wahnsinnige, fast unglaubliche Dinge geschehen. Ein Teil unserer Feinde hat uns wieder aufgeholfen vom zerstörten Boden und hat Überleben und Wiederaufbau gefördert. Noch etwas ganz Großartiges ist geschehen: Wir haben uns ein neues Gesetz gegeben und das Fundament für eine Demokratie erstellt. Wir haben inneren Frieden mit unseren Feinden nach außen und innen geschlossen. Unsere damals erarbeitete Staatsverfassung wird noch heute von vielen großen Leuten dieser Welt als eine der modernsten und freiheitlichsten Verfassungen gesehen. Sie war und ist ein Vorbild für demokratisches Denken und Handeln und sie hat uns zu Frieden, Wohlstand und Anerkennung geführt.

Einer der wesentlichen Grundpfeiler dieser Verfassung ist die Menschlichkeit als Grundlage allen Handelns und als Maß aller Dinge.

Die Welt hat uns zunehmend als Ort der Intaktheit, der Sicherheit und der Zuverlässigkeit wahrgenommen. Wir vermochten sogar, die bittere Grenze der deutschen Teilung zu überwinden und zu beseitigen.

Nicht genug! Wir haben mitgewirkt, die Länder Europas weiter zusammenzuführen, Vertrauen und Freundschaft zu schaffen. Wir haben Grenzen beseitigt, um die Möglichkeiten des Zusammenlebens weiter zu verbessern und zu intensivieren.

Über all dem haben wir allerdings eines aus dem Blick gelassen: Dass große Teile der Welt in Armut verblieben, dass Kriege tobten, dass Völker sich selbst zerstörten, dass Not und Tod Millionen Bewohner außerhalb unseres Europa-Paradieses bedrohten.

Wir wurden für diese Völker zum „gelobten Land“, zu einer Insel der Rettung und des Schutzes.

Wundert es da, dass die Armen und Bedrohten aufbrachen, um in dieses Land zu gelangen, in dem vermeintlich Milch und Honig fließt. Dieser Wille und die Hoffnung auf Frieden, Schutz und Erfolg hat Kräfte freigesetzt, die zu einer Art Völkerwanderung führten. Die Hoffnung machte es möglich, Unwegsamkeit und Widerstand zu überwinden, kargste Situationen zu ertragen, sich Unbekanntem auszuliefern und geduldig zu warten.

Eigentlich sollten wir stolz und dankbar sein, dass wir als Land des Friedens und des Erfolges gesehen werden, in dem man leben möchte, in dem man Nähe sucht und dem man seine Familien anvertraut.

Wieviel Mut, Durchhaltevermögen und Hoffnung hierzu nötig ist, können wir nur erahnen. Wieviel Verzicht und teilweise auch Demütigung hiermit verbunden ist, müssen wir mit Schrecken wahrnehmen.

Dass man die Überzeugung „Wir schaffen das“ als lächerlich oder gar als Ignoranz einstuft, ist Verrat an unserer moralischen und ethischen Verpflichtung.

Unsere Aufgabe und unser politischer Auftrag sollte es sein, die gegenwärtige Situation anzunehmen und der Menschlichkeit ein selbstverständliches „Bleiberecht“ in unserer Gesellschaft zu gewähren.

Dass wir vieles nicht vorausgesehen, besser geplant und adäquater geordnet und durch sinnvollere Taten besser beantwortet hätten, ist eine Folge der Wirklichkeit, die die schneller vorankommt als eine zögerliche Haltung es ahnt.

Unter dieser Perspektive ist der Satz „Wir schaffen das“ eine Hoffnung und Verpflichtung, unserem Willen zur Menschlichkeit nachzukommen. Dieser Satz enthält viel Zuversicht und Vertrauen in die Tragfähigkeit unserer Demokratie.

Wir benötigen keinen „Widerstand Baden-Württemberg“ sondern einen Aufruf zur „MENSCHLICHKEIT IN BADEN-WÜRTTEMBERG“ .  Wir benötigen Weisheit, Zuversicht, Entschlossenheit und Mut, zukunftsfähige Wege zu finden, die unserer Verpflichtung aus der Geschichte gerade unseres Volkes gerecht werden. Dass hierzu Einfallsreichtum, Besonnenheit, Zuneigung und Menschenliebe erforderlich sind, sollten wir eigentlich bereits gelernt haben.

Ich sage dies alles wohl wissend , dass Reden und Tun sich nicht immer harmonisch und widerspruchslos zusammenfügen, ich sage dies aber auch in der Erinnerung an Zeiten, in denen man uns auf die Fragen „warum ist dies alles so geworden“ und „habt ihr das denn nicht kommen sehen“ keine Antworten geben konnte oder wollte.

Dr. Wolfgang Jörger, Vorsitzender der „Künzelsauer Seniorinnen und Senioren“

Vorgetragen bei der Demonstration „Künzelsau für Menschlichkeit“

 

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